Oxidation und
Bieralterung
Der Geschmack eines Bieres ist einem
beständigen Wandel unterworfen. Zunächst reift das Bier, sein
Aroma wird runder und komplexer. DochsSchon bald setzt ein
Alterungsprozess ein, bei dem einerseits positive Eigenschaften
allmählich verloren gehen, andererseits ein meist als negativ
wahrgenommener Alterungsgeschmack entsteht. Bier enthält eine
Menge reaktionsfähiger Substanzen, die auf vielfältige Weise mit
einander reagieren können. Ein Faktor unter vielen ist dabei der
Sauerstoffeintrag ins Bier.
1.
Auswirkungen
1.1. Oxidative
Veränderungen
Verlust positiver Biereigenschaften
durch Oxidation von…
- Hopfenölen, die für die Hopfenblume
sorgen.
- Melanoidinen, die insbesondere
dunklen Bieren ihr Aroma verleihen.
- Kolloiden, die dem Bier einen Teil
seiner Vollmundigkeit verleihen.
- Iso-Alphasäure, dadurch Verlust der
feinen Hopfenbittere.
Alterungsgeschmack
- Schwarze Johannisbeere, höhere
Konzentration: Katzenurin (p-Menthan-8-thiol-3-on,
3-Methyl-3-mercapto-butylformiat): Erstes Anzeichen von
Oxidation und gilt als Indiz für einen zu großen Kopfraum
[Cla76].
- Oxidation von Polyphenolen, Eiweißen
(->Eiweißbittere) und Hopfenölen kann zu nachhängender,
breiter Bitterkeit führen
– Darum Filtration von Polyphenolen in der Industrie mittels
PVPP
- Brotig, mit zunehmender Konzentration
karamellig, süßlich, honigartig, mandelartig: Meist
Strecker-Aldehyde
– Auch: Furfural und HMF aus Maillard-Reaktionen (nicht
oxidativ), manchmal mandelartig. Bleibt jedoch bei
Bieralterung in der Regel jedoch unter der
Wahrnehmungsschwelle und wird durch die Hefe abgebaut. Bei
Vorhandensein kann eine zu hohe thermische Belastung beim
Würzekochen (hot-spots) die Ursache sein.
1.2.
Nicht-oxidative Veränderungen
Verlust positiver Biereigenschaften
- Verlust von fruchtigen Estern wie
Isoamylacetat („Banane“) durch die Umkehrreaktion der
Veresterung durch Esterasen und saure Hydrolyse.
Alterungsgeschmack
- Feuchte Pappe, Pappdeckel, engl. „cardboard“
(trans-2-Nonenal). Eine Ausbildung des
Pappdeckelgeschmacks geschieht dabei nicht durch
sauerstoffbelastete Abfüllung bzw. Sauerstoff im Bier,
sondern bereits im Heißbereich und wird erst bei zu
warmer und langer Lagerung freigesetzt.
- Veresterung und damit Entstehung
neuer Ester auch nach Abschluss der Gärung. Oft zunächst
diffus fruchtig.
- Maillard-Reaktionen, verschiedentlich
mit brotigen, süßlichen und weinartigen Aromen in Verbindung
gebracht.
2.
Vermeidung
- Zunächst gilt es, die Würze
schon im Heißbereich mit einem hohen Reduktionsvermögen
auszustatten und letzteres durch geringen Sauerstoffeintrag
bis zum Anstellen zu erhalten. Das ist sozusagen der
Schutzwall der Würze gegen den Angriff von Sauerstoff.
- Als nächstes gilt es dann im
Kaltbereich die Angriffe auf diesen Schutzwall möglichst
lange hinauszuzögern, indem Sauerstoff vermieden und seine
Wirkung verlangsamt wird. Das Resultat aus diesen Maßnahmen
lässt sich als (potenzielle) Geschmacksstabilität
beschreiben.
- Es gibt noch einen weiteren,
recht subjektiven Faktor. So können etwa mit kräftigen
Hopfenaromen – Linalool ist hierfür ein guter Indikator
– und Ester wie Isoamylacetat erste Alterungsanzeichen
überdeckt werden.
2.1. Der
Schutzwall: Geschmacksstabilität
Ziel ist zunächst die höhere analytische
Geschmacksstabilität durch erhöhte Menge an antioxidativ
wirsakmen Substanzen im Bier. (Reduktoren).
Antioxidantien
- Melanoidine durch dunkle Malze
und Caramalze
- Hoher Polyphenolgehalt
(Dekoktion, Hopfen)
Wundermittel SO2!
Schwefeldioxid (SO2) wird in
der Literatur mit breiter Übereinstimmung als wirkungsvollstes
Antioxidans im Bier beschrieben. Es reagiert schon mit Peroxiden
und verhindert dadurch die Radikalgenerierung. SO2
entsteht im Rahmen des Hefestoffwechsels als Zwischenprodukt und
wird in der Menge daher vor allem vom Hefestamm beeinflusst.
Generell produzieren untergärige Hefen signifikant mehr, es gibt
jedoch auch innerhalb dieser Gruppe Unterschiede. z.B.: Doemens
308 (Danstar Diamond Lager) > Rh (Fermentis Saflager S-23) >
W34/70 (Fermentis Saflager W34/70) [Thi06].
Ursächlich für die Oxidation ist
molekularer Sauerstoff, der im Laufe der Zeit in eine
reaktionsfähige Form wie Hyperoxid, umgewandelt
wird..
Grundsätzlich verstärkt sich die Geschwindigkeit von
Oxidationsreaktionen überproportional mit einer
Temperaturzunahme.
Einen hohen SO2 Gehalt
erhält man durch
- Vermeidung katalytisch
wirksamer Metallionen wie Eisen und Kupfer
- Vermeidung hoher pH Werte durch nicht
aufbereitetes Brauwasser. Gute Werte sind pH 5,4 – 5,6 für
die Maische pH 5,4 für die Würze und 10min vor Kochende eine
optionale Würzesäuerung auf pH 5,2.
- Reduzierung der thermischen
Belastung. Würzekochen nicht länger als nötig (max. 90 min)
- Vermeiden tiefer
Einmaischtemperaturen. Einmaischen bei 62°C verringert
signifikant die Aktivität der hitzestabilen Oxidasen aus dem
Malz, die Oxidationen v.a. von Polyphenolen katalysieren.
Aber: Kirche im Dorf lassen, keine anderen technologischen
Probleme durch zu knappe Abbauvorgänge beim Maischen
riskieren!
Da die Hefe für die Produktion von SO2
auf Sulfat aus der Würze angewiesen ist, beeinflusst auch der
Sulfatgehalt das Potenzial der SO2 Bildung.
Sulfatreichem Wasser wird seit längerem nachgesagt, den
Hopfencharakter eines Bieres zu betonen. Es wird zu klären sein,
welcher Anteil dafür Sulfat geschmacklich direkt zuzuschreiben
ist. Denkbar ist nämlich, dass vielmehr die Umwandlung zu antioxidativem SO2 eine Rolle spielt, der
Hopfencharakter somit per se nicht betont wird, sondern länger
vor einem oxidativen Abbau geschützt wird. Dies würde sich
entsprechend auch auf andere Bierinhaltsstoffe stabilisierend
auswirken.
2.2.
Angriffe abwehren: Oxidation unterdrücken
Die Löslichkeit von Gasen steigt mit
abnehmenden Temperaturen. Während bei hohen Temperaturen, etwa beim
Würzekochen, kaum Luftsauerstoff gebunden werden kann, erreicht
die Löslichkeit bei typischen Maische- oder später
Whirlpool-Temperaturen von 60-70°C bereits die Hälfte der
Löslichkeit bei späteren Gärtemperaturen und etwa ein Drittel
der Löslichkeit bei Lagertemperatur. Daher sollte bereits das
Maischen (zusätzlich katalysiert durch hochwirksame Oxidasen),
Läutern und Ausschlagen der Würze möglichst sauerstoffarm
erfolgen. Im Mittelpunkt der Überlegung steht dabei: Wieviel
Sauerstoff nimmt die Würze auf (Menge), bei welcher Temperatur
(Intensität) und wie lange (Zeit) kann es wirken? Schon geringes
„Plätschern“ im Kaltbereich kann etwa viel Sauerstoff lösen, der
dann lange wirken kann.
2.2.1.
Sauerstoffeintrag bei der Abfüllung
Bereits knappe 2ml Luft im Kopfraum einer
500ml Flasche erhöhen den Sauerstoffgehalt um mehr als 1mg/L.
Dies gilt in einem hellen Lagerbier bereits als ausreichend, um
die schützenden Reduktone aufzuzehren. Ein erster Schritt muss
daher in der Verkleinerung des Kopfraums bzw. in der
Vermeidung eines zu hohen Sauerstoffgehaltes darin sein. Eine
0,5l Bierflasche bietet ein Volumen von etwa 520ml und
besitzt daher bei exakter Füllung von 500ml Bier einen Kopfraum
von 20ml. Dieser Kopfraum spielt bei der industriellen Abfüllung
keine große Rolle, da die Flaschen vor der Füllung mehrfach
evakuiert und mit
CO2 gespült werden. Ein gleichgroßer Kopfraum bei heimischer
Flaschenfüllung ist selbst bei Gegendruckabfüllung mit höheren,
bei druckloser Abfüllung gar mit vielfach höherem
Sauerstoffgehalt verbunden. In diesem Fall ist es also nicht
ratsam der Industrie nachzueifern, sondern im Interesse eines
von vorne herein geringen Sauerstoffgehaltes, den Kopfraum durch
größere Füllmengen zu reduzieren.
Idealerweise sollte daher auch
durch Aufschäumen des CO2 gesättigten
Jungbieres noch ein wenig mehr Sauerstoff aus dem
Flaschenhals verdrängt werden. Dies jedoch nur gegen
Ende des Abfüllvorgangs, insbesondere bei der
drucklosen Abfüllung sollte der Füllvorgang
möglichst ohne Luftzutritt geschehen.
Zu beachten ist in der Praxis der
höhere Druckanstieg bei kleinerem Gasraum, da nur
dieser, nicht jedoch die Flüssigkeit kompressibel
ist. Ein Abstand von 3-5 mm zwischen
Flüssigkeitsoberfläche und Flaschenrand sollte
eingehalten werden, muss je nach Karbonisierung und
Lagertemperatur womöglich durch den Leser noch
angepasst werden.
Des Weiteren sollte beim
Umfüllen vom Gärbehälter in anderen Behälter zum
Stopfen und/oder in Abfüllbehälter unbedingt mit
Schlauch gearbeitet werden. Dieser muss fest sitzen,
um keine Luft zu ziehen und sollte bis zum Boden des
Zielgefäßes reichen. Das Auslaufventil ist möglichst
immer unter der Flüssigkeitsoberfläche zu halten.
Beim Stopfen kann ein Schlauchen (knapp) vor Ende
der Hauptgärung helfen, durch weitere Gäraktivität
wieder ein CO2 Polster aufzubauen. Dabei
entstehen jedoch durch Diffusion, trotz der höheren
Dichte von CO2, immer Mischungen mit der
enthaltenen Luft. Optimal ist daher die zusätzliche
Spülung der zweiten Behälter mit CO2 aus
der Flasche.
2.2.2. Temperatur bei der Bierlagerung
Wenn alle Schritte zur
Vermeidung eines Sauerstoffeintrags getan sind,
bleibt dem Brauer nur die Verringerung äußerer
Einwirkungen. Neben einem dunklen Lagerort ist die
Temperatur wohl die wichtigste Stellschraube.
Unterschiede von wenigen Grad Celsius können
auftretende Reaktionen um ein vielfaches
beeinflussen. (RGT-Regel: eine Temperaturerhöhung um
10°verdoppelt die Reaktionsgeschwindigkeit)
Für die Bierlagerung ist daher
eine möglichst niedrige Temperatur über dem
Gefrierpunkt anzustreben.
Biere mit Alterungspotenzial,
siehe auch folgender Abschnitt, können zur
Forcierung erwünschter Alterungsreaktionen auch
wärmer gelagert werden. Meist werden diese Biere
sehr sauerstoffarm abgefüllt, um den
nicht-oxidativen Veränderungen den Vorrang zu geben,
da oxidative Bieralterung über die Zeit fast
ausschließlich negativ zu bewerten ist.
3. Bieralterung im Kontext der Erwartung
Jede alterungsbedingte
Veränderung als qualitätsschädlich zu werten, greift
jedoch zu kurz. Nachfolgende Tabelle gibt einen
Überblick über Veränderungen, die tatsächlich
positiv und produkttypisch sein können.
Ausgangsprodukt |
Vorkommen und Auswirkung |
Höhere Alkohole |
Wirkt bei hohen
Dosierungen sprittig/fuselig, baut sich
langsam ab ab zu Aldehyden, die etwa
nach Toffee oder Mandel riechen (Benzaldehyd). |
Phenole |
Kommen besonders in belgischen und
deutschen Weizenbieren vor. Der typische
Nelkengeruch durch 4-Vinylguaiacol wird
während der Lagerung zu Apocynol
(4-(1-hydroxyethyl)-2-methoxyphenol) und
Vanillin abgebaut. Diese beiden
intensiv nach Vanille riechenden
Substanzen können daher etwa Weizenböcke
oder Ales in eine neue Richtung
lenken. |
Ester |
Auch nach Abschluss der Gärung entstehen
weitere Ester, siehe Abschnitt "Nicht-oxidative
Veränderungen". Diese Ester können etwa
nach getrockneten Früchten riechen - in
trocknenden Früchten laufen durch die
zunehmende Säurekonzentration ähnliche
Prozesse ab - und in Verbindung mit
Produkten aus Maillard-Reaktionen
(Alterung, aber auch aus dunklen
Caramalzen wie Weyermann CaraAroma)
komplexe Aromaeindrücke nach
getrockneten Rosinen, Pflaumen oder
Feigen erzeugen. |
Melanoidine |
Leiten oxidative Reaktionen ein, die
Produkte erzeugen jedoch neue
Aromeneindrücke, die typisch für dunkles
Bier sein können. Nicht zu dunkle Biere
bieten oft die beste Ausgewogenheit
zwischen pro-oxidativen und
anti-oxidativen Effekten. |
4. Zusammenfassung
Eine höhere
Geschmacksstabilität der Würze, gepaart mit einer
Vermeidung von Sauerstoff und optimierten
Lagerbedingungen, kann auch dem Hobbybrauer helfen,
länger Freude an seinem Hausgebrauten zu haben.
Besonders die kalte Lagerung hilft auch gekauftes
Bier möglichst lange in dem Zustand zu halten, den
der Brauer dafür vorgesehen hat. Während die
nicht-oxidativen und enzymatischen
Alterungsreaktionen in ihren Ursachen vielfältig und
damit kaum durch einfache Maßnahmen in den Griff zu
bekommen sind, können oxidative Veränderungen
gezielter eingedämmt werden.
Abschließend die Top 5 der
schnell umsetzbaren Praxistipps:
- Flaschen und Fässer
möglichst voll machen.
- Nirgends „plätschern“
lassen, wo man schlauchen kann – außer beim
Belüften.
- Bier nach abgeschlossener
Karbonisierung möglichst kalt (0°C < 10°C)
lagern.
- Mehr Sulfat im Brauwasser
durch Calciumsulfat (Braugips) bis 150mg/L, in
Ales bis 300mg/L.
- Einsatz von viel Hopfen,
dunklen Malzen und Caramalzen.
Parallele
zum Wein:
Einfach Weine / Biere jung trinken, denn sie
verlieren schnell an Aroma,
hochwertige Weine / Biere profitieren von
längerer Lagerung und werden immer komplexer!
Nach einem Aufsatz von A. Staudt im
Braumagazin Winter 2014/15
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